Wiesbaden, 12. September 2023. Frank Nolte wandte sich zum Auftakt der Grosso-Jahrestagung des Gesamtverbands Pressegroßhandel (GVPG) mit einem ernsten Befund an die Mitglieder und Gäste. Extreme Meinungen und Ansichten seien auf dem Vormarsch, Fake-News und Hate-Speech ein wachsendes Problem. „Der gesellschaftliche Konsens droht zu zerfallen“, resümierte der GVPG-Vorsitzende.
Einer vielfältigen Presselandschaft und einem intakten Pressevertriebssystem kommen in solchen Zeiten umso mehr Bedeutung zu. Das Presse-Grosso sorge zuverlässig dafür, dass die Printerzeugnisse in der richtigen Menge überall vor Ort verfügbar sind. „Allerdings“ mahnte Nolte, „können wir diese systemrelevante Funktion nur so lange wahrnehmen, wie wir wirtschaftlich arbeiten können“.
Genau das wird für die Branche immer schwieriger, weil der Printmarkt weiter schrumpft. Neben dem strukturellen Problem, dass vor allem die junge Generation verstärkt andere Medien(kanäle) nutzt, reagieren Verbraucher auf Krieg und Inflation, indem sie weniger und kostenbewusster konsumieren. Das schlägt auf den Grosso durch. „Das Geschäftsjahr 2022 war für uns alle ein absoluter Tiefpunkt“, sagte Nolte. Eine echte Wende ist nicht in Sicht, auch wenn der Umsatz mit Presse im ersten Halbjahr 2023 mit minus 4 Prozent weniger stark zurückgegangen ist als im Vorjahreszeitraum.
Nolte verwies auf die seit März geltende „Branchenvereinbarung mit Augenmaß“, auf die sich die Medienallianz und der GVPG nach harten Verhandlungen geeinigt hatten. Sie gilt für die nächsten Jahre und stellt bis dahin einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb sicher. Doch schon heute sind die Herausforderungen für die Zeit danach greifbar.
Darauf wies auch Lars Rose, Verleger der Mediengruppe Klambt, hin. Er habe noch nie innerhalb von zwei Jahren „solch dramatische Rückgänge im Werbemarkt und bei den Auflagen erlebt“. So wird der wirtschaftliche Spielraum für die Verlage enger, höhere Vertriebskosten seien nicht tragbar. Mit Blick auf die Zukunft des Pressevertriebssystems sagte Rose: „Es darf keine Denkverbote geben.“ Der Verleger selbst hat erst letztes Jahr durch die Übernahme des Delius Klasing Verlags gezeigt, dass er vom Potenzial starker Printmarken und des Printvertriebs überzeugt ist. Klambt gehört zu den marktführenden Zeitschriftenverlagen im Einzelverkauf und bezeichnet sein mittelständisches Unternehmen als „tief verwurzelt im Vertrieb“.
Frank Nolte zeigt sich offen für Vieles. „Lassen Sie uns ein neues Bündnis schließen. Ein nationales Bündnis, das den Pressevertrieb moderner, effizienter und zukunftsfest macht“, formulierte er an die Adresse der Partner. Wenn bis zum Ende der Laufzeit konkrete Schritte umgesetzt sein sollen, „dann müssen wir jetzt mehr Tempo machen“, bekräftigte Nolte in seiner letzten Rede als Vorsitzender. Nach 14 Jahren im Amt stellt er sich nicht mehr zur Wahl.
Philipp Welte, Vorstand Hubert Burda Medien und Vorstandsvorsitzender des Medienverbands der freien Presse (MVFP), malte mit Zahlen und Fakten zur gesamtwirtschaftlichen Lage ein düsteres Bild. Die Stimmung im Land sei katastrophal, und er sorgt sich um den Zustand der liberalen Demokratie. Welte berichtete von einer Rekordzahl an Übergriffen gegen Journalisten und warnte davor, dass – auch durch den Einsatz von KI – „ein Tsunami an massenhaft produziertem Müll“ entstehen kann. Mehr denn je sei es an den Verlagen, dagegenzuhalten und die Menschen mit journalistisch erzeugten, vertrauenswürdigen Medienmarken zu überzeugen. All das geschieht unter schwierigen ökonomischen Vorzeichen. Ausdrücklich bedankte sich der MVPF-Chef bei Frank Nolte für dessen unermüdlichen Einsatz im Miteinander von Grosso und Verlagen zur Fortentwicklung des Pressevertriebssystems. Er sei ein „Diplomat und Krieger, auf dessen Wort man uneingeschränkt zählen kann“.
Ausgeschlafen und munter wirkte Gregor Peter Schmitz, obwohl er bis Mitternacht am Cover der in dieser Woche erscheinenden „Stern“-Jubiläumsausgabe gearbeitet hatte. Bei seinem Streifzug durch „75 Jahre Stern“ zeigte der Chefredakteur die vielen Facetten des Magazins, das im neuformierten RTL-Verbund das journalistische Flaggschiff bleibe. Dass RTL rund 30 Millionen Euro investiert und 40 Stellen schafft, um mit dem digitalen Bezahlangebot Stern+ bis 2026 rund 100.000 Abonnenten zu gewinnen, sei aber keineswegs eine Absage an Print. Schmitz: „Im Magazin erzählen wir die großen Geschichten, und als Marke wird der Stern in verschiedenen Formaten und Geschwindigkeiten unterwegs sein.“
Am Nachmittag schlossen sich Vorträge von Sportwissenschaftler Stephan Geisler über „Bewegung als Medikament“, von Sebastian Ganske, Verleger des Jahreszeitenverlags, über „Medienmarken im Premiumsegment“, und ein Impulsvortrag über Künstliche Intelligenz von Gunnar Brune an. Zudem feierte der Gesamtverband Pressegroßhandel eine Premiere: Zusammen mit der „Rundschau für den Lebensmittelhandel“ und weiteren Partnern zeichnete er „Deutschlands beste Presseregale“ aus.